Sehr erfolgreich kamen am vergangenen Sonntag die Teilnehmer der Hochtourenwoche aus demWallis zurück. Alle sieben 4000er, die sich die Gruppe vorgenommen hatte (und ein 3000er zur Akklimatisation), konnten auch bezwungen werden.
Kapitel 1: Kermits Konsumation
„Hat sich ja jetzt schon gelohnt“, dachte ich mir, als wir nach gefühlten 100 Stunden (10 waren´s tatsächlich) Fahrt unsere trägen Gebeine aus dem Auto in Täsch bei Zermatt aus dem Auto schälten. Gemeint war der Anblick der Bergkulisse und der unverschämt frühe Anruf bei unserem Tourguide Michael Kreuz am Anmeldebeginn der Tour. Um ca. 6:00 das erste Mal auf den Anrufbeantworter, dann nochmal um 7 und zur Sicherheit gleich noch um 8.
Mit dem Matterhorn im Hintergrund stapfte unsere illustre achtköpfige Crew nach der Taxifahrt in Zermatt nun einen steilen aber durchaus familientauglichen Weg hinauf zum Hotel du Trift, unserer ersten Hütte auf 2337m. Unter vollem Gepäck und der Höhe noch ein wenig fremd kam man vereinzelt doch ins Schwitzen und war nach kläglichen 740hm froh, den Rucksack ins Eck stellen zu können (die Fahrt war ja auch anstrengend…). Sofort wurden wir jeder einzeln per Handschlag vom Hüttenwirt und dessen Frau begrüßt. Ein an und für sich lustiger Geselle, der wohl der Schweizer Synchronsprecher von Kermit sein musste. Nach reichlichem Abendessen und ordentlich „Konsumation“ (gemäß Wirt Getränke und alles, was nicht in der Halbpension enthalten war) ging´s nach kurzem Einschafkopfen ins Bett.
Der Morgen begrüßte uns von der nebligen Seite, das Mettelhorn stand auf dem Programm (3406m). Ausgeschrieben als der zweithöchste „Trekkingberg“ der Schweiz, war ein einfacher Gipfelanstieg zu erwarten. Über gute Wanderwege, ein bisschen Gletscherschnee und letztlich einen steilen Schmierschuttanstieg ging’s mit leichtem Gepäck zum Gipfel.
Schon gar nicht schlecht, aber steigerungsfähig, so die allgemeine Stimmung. Die Sicht war gut, der Bergsee eisig (ich überzeugte mich per Extreme-Kneipping persönlich davon…) und das Panasch (Radler) auf der Hütte kühl. Ein paar Steinböcke nickten uns respektvoll zum Erfolg unserer Eingewöhnungstour zu. Schafkopfen und ein Mensch-ärgere-Dich-nicht Gemetzel in der Trift-Bay mit verschärften Regelwerk beendeten den gelungenen Tag.
Kapitel 2: Der Kreuz´sche Faktor
Dritter Tag: Der Tross verlegte zur neuen Monte-Rosa Hütte auf 2883m. Veranschlagt war der Tag im Tourenheft mit ca. 200Hm bergauf, könnte man also auf einem Bein schaffen. Nichts wie Rucksack vollgestopft und runter ins Tal. Die nun viel zu dicke Luft ermutigte uns dann doch dazu, ein paar Stationen zu früh aus der Gornergratbahn zu entweichen und ab Riffelalm vorbei an hochalpinen Ressorts noch ein paar Höhenmeter drauf zu packen. Nach einigen überambitionierten japanischen Reiseführern und deren Gefolgschaft (koooonischi-waaaa) eröffnete sich langsam der Blick auf unser eisüberzogenes, zukünftiges Revier. Gletscher schoben sich vom Berg ins Tal, trafen sich in großen Moränen und frästen sich den Weg gen Matterhorn. Auch hier sah selbst das ungeübte Geologenauge den herben Rückgang der alten Eisriesen. Nix wie rauf, so lang noch was zum Pickeln da is! Nach einfachem Abstieg vom Grat galt es die Randspalte des zugehörigen Gletschers zu überwinden, für die teilweise „gewagt “ ausgerüstete Tagestouristik doch ein kleines Abenteuer. Der Weg zog sich dann doch ein wenig mehr als Gedacht und ein Blick auf den Höhenmesser verriet, dass der Gletscher wohl weiter gesunken sein muss, als die Karte dies erwarten ließ. Nachdem wir wieder festen Grund unter den Füßen hatten, durften wir unser eigens Tempo gehen und so hörte keiner der Gruppe unser durch österreichischen Slang getarntes Fluchen. Am Ende waren wir dann doch bei 1080hm rausgekommen, der Kreuz´sche Faktor berechnete sich also wie folgt: [tatsächliche Hm = versprochene Hm x 5].
Die flammenneue Hütte entschädigte aber völlig für die Strapazen mit warmer Dusche, super Schlaf-, Wasch- und Speisesaal sowie W-Lan und Handynetz. Essen war wieder super, Nachschlag gab`s ordentlich dazu. Am vierten Tag übten wir das Spaltenbergen, was auf Grund der Vorkenntnisse der Gruppe meist relativ problemlos klappte. Beim Mannschaftszug wurden sogar Gruppenschwergewichte förmlich aus der Spalte „hinausgeschossen“ …
Kapitel 3: Von Spalten und Löchern
„Ok, wenn ich den Käse da jetzt nehme, dreht er mir ne Eischraube ins rechte Nasenloch“. Ein mehr als grimmig dreinblickender, vollaufgerödelter Franzose schaufelte sich um 2:00 nachts vor mir am wirklich frühen Frühstücksbuffet sein Tablett (mit meinem Käse) voll. Stimmung der Meute ähnlich einem Rudel Knödel kurz vor dem Sprung ins heiße Kochwasser. Die Königsetappe der Tour auf die Gnifetti-Hütte (3647m) über den Lyssattel (4200m) mit vollem Gepäck stand an. Den Unterhosenvorrat aufs nötigste begrenzt, machten wir uns um ca. 2:30Uhr gewichtsoptimiert mit Stirnlampe über fieses Blockwerk auf den Weg zur 4000er Marke. Wie keuchende Perlenketten sah ich die Seilschaften sich durch die noch junge Nacht schlagen.
Im Vollmondlicht waren Föhnfische zu erkennen, was auf gute Sicht aber heftigen Wind schließen ließ. Die Wegfindung über den sich anschließenden Gletscherbruch gestaltete sich dank vorgefertigter Spur als relativ einfach und als der erste Sonnenstrahl die hinter uns liegende Spitze des Matterhorns entzündete, waren wir dem Bruch vollzählig entronnen und beide Seilschaften stapften dem Sattel entgegen. Wie erwartet pfiff uns der Wind oben ordentlich um die Ohren, was ein Feiern der 4000er Entjungferung leider unmöglich machte.
Auf der Lee-Seite des Sattels stiegen wir schnell zur Gnifetti-Hütte ab. Dank unserer Abmarschzeit konnten wir die Nase leicht rümpfend um 9:30 an den letzten aufsteigenden Seilschaften vorbei den Endspurt zur Hütte antreten. In Anbetracht der Spalten und Wegführung durch den Gletscherbruch gab mir unsere Startzeit und die damit verbundenen Schnee- und Eisverhältnisse aber ein wohliges Gefühl der Sicherheit (vielleicht war´s auch nur der Schlafentzug).
Die Hütte empfing uns mit sehr nettem Koch, super Kuchenbuffet, Cappuccino und -wer hätte es gedacht- : warmen Duschen. Beim Toilettenbesuch wurde mein Freudentaumel gebremst: Loch im Boden, Henkel zum Halten an der Tür und das Beste: statt einer Spülung gab´s ´nen abgesägten Skistock. Der Anblick wurde eigentlich nur noch von den weiblichen Vor-Besuchern des Klos meiner Wahl getoppt: stets in den Boden starrend, hoch rot (wohl von der Schußabfahrtstellung) und mit zügigem Schritt weg vom Ort der Schande.
Kapitel 4: Erdinger : 4 – Berge : 1
So gut die Italiener abends kochen, so faul sind Sie beim Frühstück machen: Keks, Zwieback, italienisches Brot (also wieder Keks) und ´n Getränk. 4000er jagen, so die Tagesplanung. Um ca. 7:00 machten wir uns in die windig-eiskristallhaltige Bergluft auf zur Vincent-Pyramide (4215m). Als Seilschaftsletzter wusste ich, wo der Gipfel sein musste: wenn alle vor mir „Berg heil!“ schrien und sich die Hände schüttelten. Der erste Gipfel unserer Viertausenderjagd versank leider ein wenig im Nebel und wegen fehlender Gipfelmarkierung irgendeiner Art wollte sich zumindest bei mir noch kein so richtiges Gipfelglück einstellen.
Dies änderte sich aber schlagartig am Balmenhorn (4167). Ein Miniklettersteig führte an einer übergroßen Christusstatue direkt ins Biwak und zur Brotzeit. Gestärkt machten wir uns zum Corno Nero (4322) auf, das mit Fixseil entschärft wurde. Kurze Gipfelrast, Foto, weiter ging´s, und zwar zur Ludwigshöhe (4341). Eigentlich sollte sich die Spannung nach dem Rückweg auf dem Gratweg legen, doch soweit kam es dank starkem Nebel, Nullsicht und einsetzendem Schneetreiben nicht. Damit die Sache noch die entsprechende Würze bekam, meldete sich pünktlich zum Schlechtwetter das Knie eines wackeren Mitstreiters. So mussten wir mit ansehen, wie Spuren und Spalten verblassten und der Kopf unseres Erkrankten auf Grund der Schmerzen immer röter wurde. Doch dank Garmin und einem echten Hammer aus der Medikamentenkiste unserer weiblichen Seilschaftlerinnen wurde auch diese Situation zum Besten gewendet: unseren Kniegeschädigten hörte ich den Rest des Wegs zur Hütte nur noch lachen. Leider konnte er die Tour am nächsten Tag nicht mehr fortsetzen und musste per Bus und Zug nach Deutschland zurück, ein sicher nicht minder abenteuerliches Unterfangen, angesichts der Verkehrsanbindungen in Italien. Unterm Strich: vier Viertausender für jeden, leider ein Ausfall.
Kapitel 5: Cabana und die glorreichen 7
Nun war der Tag gekommen, an dem wir den zweithöchsten Berg der Schweiz erklimmen wollten. Das Wetter meinte es wieder sehr gut mit uns. Zuerst fiel die Parrot-Spitze (4432m), ein schmaler Kamm, der kurzerhand überschritten wurde. Nun auf zur Zumsteinspitze (4563m). Der Schnee war an dem südlich ausgerichteten Hang leider schon recht sulzig und das Steigen eine rechte Plagerei. Unterm Gipfel wurden die Rucksäcke abgelegt und der Startschuss für den Gipfelsturm ward gegeben. Das vorletzte, aber höchste „Berg heil!“ der Tour wurde kurz darauf von allen sieben verbliebenen Kranzlern ausgerufen.
Obwohl der Abstieg und erneute Aufstieg zur Signalkuppe (4556m) eigentlich reine Formsache war, brannte die Höhensonne uns fast die Nasen aus dem Gesicht. Dies trieb Tobi und mich dazu, uns komplett zu vermummen, was recht idiotisch aussah, aber gegen Strahlungs-Peeling im Gesicht half. Auf der Hütte angekommen, gab´s bald wieder reichlich Essen, leider nicht ganz so gut wie knapp 1000m tiefer auf der Gnifetti-Hütte. Auch mit dem Waschen sah es schlecht aus: keinerlei fließend Wasser, Zähneputzen mit der Mineralwasserflasche. Die Nacht im Lager durchschlief wohl nur Michael, ich zumindest wurde von leichten Erstickungsanfällen, schnatternden Italienern und funzelnden Stirnlampen wach gehalten. Und so freute ich mich nach 7 Stunden Kampf um Luft und Schlaf doch sehr, als ich wieder vor dem italienischen Keksfrühstück saß.
Abstieg
Eine Mischung aus Wehmut, Freude auf besseres Essen und Schlaf und Zehenschmerz (Stiefel nicht ordentlich geschnürt) machten sich auf den 1600hm Abstieg breit. Auch, dass man sich nun wieder ein „stilles Örtchen“ fürs kleine Geschäft suchen musste, war eine Umstellung. Wenn´s überall nur Schnee gibt, ist jede Stelle gleich gut. Auf der Monte-Rosa Hütte angekommen wurden nach gründlicher Reinigung und kurzem Schönheitsschlaf die letzten Franken in Rösti und Flüssigspaß umgesetzt und der Abend klang wunderbar in der gemütlich modernen Stube aus.
Am nächsten Morgen putzte ich ein wenig nachdenklich meine Zähne im Waschsaal, schniefte ein letztes Mal den seltsamen Geruch, den die Membrankläranlage (vollbiologisch) des Spülwassers der Toilettenspülung verbreitete, und stieg verträumt den Weg über den Gletscher zur Gornergratbahn. Die Japaner wuselten wieder mit den unmöglichsten Kopfbedeckungen an mir vorbei, die Stöckelschuhe auf der Einkaufsmeile in Zermatt klopften einen hektischen Takt. Die Zivilisation hatte uns wieder verschlungen.
Schee wars!
Mit dabei auf Tour: Silvia Janouschek, Bernhard Katterloher und Maria Hettenkofer-Katterloher, Karola Rübensaal, Roland Stary, Christian Rößle, Tobias Hoheisl
Tourenführer (nicht im Bild): Michael Kreuz
Bericht: Christian Rößle