Ratsch-Bladl Archiv 2 – DAV Alpenkranzl Erding Alpenkranzl-Informationen 05/2009-08/2010

6.6.2009

Schweizer Berge: Hier rasen die Wurstpellen

Filed under: Allgemein — admin @ 08:45

Sicher kennen Sie auch diese schwierigen Momente, da man es verflucht, einer Gattung anzugehören, die einen mit Ekel erfüllt? An manchen Tagen ist der Blick so unangenehm geschärft, und mit dem schaut man um sich und sieht: DAS ELEND.

Der Mensch wie er kaut und schwitzt und sich in Löchlein pult, wie er Blödsinn redet, in Würste beißt und dann läuft das Zeug an ihm hinab, wie sie sich seitwärts bewegen, Haufen unnützen Fleisches, und man fällt in hysterisches Gelächter, wenn man diese Männer sieht, aufgezogen von einem Schlüssel im Rücken, und dann hat sie wer in einen Anzug gesteckt, und so ziehen sie los, um die Welt zu versauen. Und alle denken, sie seien unsterblich. An solchen Tagen ist es gut, dass nicht zufällig Gott vorbeikommt, als Elfe verkleidet und fragt: Hast du einen Wunsch? Und ohne nachzudenken würde man antworten: Mach die weg. Alle. Das passiert natürlich nie. Solche Fragen stellt Gott verkleidet als Elfe nicht, er kommt nur vorbei und sagt: hau schnell ab, geh in die Natur, da hat es keine Menschen und wenn, dann sind sie leise.

Ich fahre also ins Grüne. Eine niedliche Pension. Eine Käseplatte, am Nebentisch schweigende Eheleute. Morgen, denke ich, als ich in dem wie immer viel zu dicken Federbett versinke, und immer sind da gelbe Kacheln im Bad, und immer ist etwas zu braun, morgen, werde ich in der Natur wandern. Ich werde behände wie eine junge Gemse über Pässe hüpfen, in Bächen baden und ich werde NIEMANDEN sehen.

Der Morgen kommt mit goldenem Licht, ein paar Hubschrauber fliegen herum, ansonsten: RUHE. Die erste Stunde Wandern ist immer ein wenig befremdlich. Der Atem rasselt, der Blick streift den Bergschuh, schämt sich, zuckt zurück, anstrengend ist es, und völlig sinnlos. Danach greift allerdings die meditative Beruhigung, die das Wandern erzeugt. Auf einmal ist der Atem vergessen, das ELEND, die Hubschrauber, und der Gedanke, dass mich an ihren speziellen Tagen andere Menschen so hasserfüllt beobachten wie ich sie. Nur noch grün ist und Ruhe.

Die Beine machen ihren Job, ohne dass ich darüber nachdenken muss, und fast habe ich schon wieder Freude daran, am Leben zu sein, als laut klingelnd ein Mountainbike-Fahrer naht. Natürlich erwartet die in Neopren gewickelte Fleischwurst, dass ich ausweiche. Normal. Ich bin ja eine Frau, die sind gemacht zum Ausweichen, zum Verstehen, und na klar, das ist unser aller Natur – der Weg ist nicht meiner, er ist das Ziel – fahrt nur ein wenig spazieren, ihr drolligen Helmträger. Zack, da kommt schon der nächste. Eine kleine Gruppe hormonverseuchter Jungmänner, im normalen Leben vermutlich Anzugträger, Banksachbearbeiter, spritzt an mir vorüber. Ich atme Staub, ich habe mich erschreckt. Nein, sonst ist nichts passiert, alles in Ordnung. Hey, ist ja ein Wanderweg, sagt ja keiner, ob man mit Füßen oder Rädern wandern soll – hoppla, da sind schon wieder welche.

Immer wenn ich wieder in Ruhe versinken will, kommen sie: Klingelnd, schwitzend, stöhnend rasen sie durch den Wald, wir sind ja nicht zum Spaß auf der Welt. Das ist Freizeit, und die will gestaltet sein. Aber warum muss man so beschissen aussehen dabei? Warum muss man, um ein wenig Rad zu fahren, solche Wurstpellen tragen und Helme, und Schuhe und alles extra und teuer und zack schon wieder welche. In einer Stunde Wanderung lassen mich an die 50 Fahrräder zur Seite springen.

Ab und an begegnet mir ein anderer Wanderer mit gehetztem Blick. Angst. Ich habe Angst. Sportler machen mich unruhig. Ich verstehe nie, was die wollen. Ewig leben? Noch ewiger? Und es sind doch meist die langweiligsten Leute, die Sport treiben. Ja, ich verstehe, ihr lieben Mountainbiker, ihr wollt Adrenalin, ihr wollt außer Atem sein, pfeilschnell Abhänge runter und euer Limit und danach das Gefühl, taff zu sein, und es allen gezeigt zu haben. Ihr seid plötzlich keine kleinen Bankwürste mehr, sondern Helden.

Ich habe Verständnis. Doch ich verzeihe keinem! Ich hasse euch. Und wenn Gott in dieser Sekunde käme und fragte, was wünschst du dir, du niedliche kleine Dame, ich wüsste die Antwort.

Sibylle Berg

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.128, Samstag, den 06. Juni 2009 , Seite 61

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